Spielen nach Gehör

Viele engagierte Musiker empfehlen: Bildet euer Gehör!
Lernt, Töne nach Gehör zu finden! Warum ist das so hilfreich für alle. die Musik machen? Und warum wird das so oft vernachlässigt?

Hier beschreibe ich, wie es dazu kam, und du erfährst, wie AMADEUS aus spielerischen Übungen im Klavierunterricht entwickelt wurde.


Alles nach Diktat?

Warum lehren so viele Musiklehrer:innen immer noch ausschließlich nach Noten?
Ist es nicht ein eigenartig abstrakter Weg, im Unterricht als allererstes die Notenzeichen zu lehren und sie ablesen zu lassen?

Erst die Schriftzeichen – dann gibt’s die Musik. Ist das wirklich normal?

Die Umsetzung vom Notenzeichen zum klingenden Ton muss den Umweg über Auge und Verstand nehmen. Wer seine Töne nach Gehör kennt, kann mit viel sichererem Instinkt auf die Musik zugreifen. Mir drängt sich immer der Vergleich zum Neugeborenen auf, das seine Milch erst bekommt, wenn es gelernt hat, seinen Wunsch in Schriftsprache zu äußern. Der berühmte Geiger Yehudi Menuhin bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Das Spielen nach Gehör muss dem Notenlesen vorangehen, genauso wie das Sprechen und Hören einer Sprache normalerweise dem Lesen und Schreiben dieser Sprache vorangeht.”

Keine Zeit für Spiele?

Einmal war ich zu einem Seminar eingeladen, um einer Gruppe von Musikschullehrer•innen in Österreich meine Methoden des spielerischen Gehörtrainings vorzustellen. „Nein, Herr Haas,“ war die einhellige Antwort, „für solche Spiele haben wir keine Zeit. Wir müssen ja das Pensum schaffen, damit unsere Schüler im Wettbewerb gut abschneiden.“ Nur zwei Lehrer waren anderer Ansicht, fanden es ganz selbstverständlich, das Spielen nach Gehör in den Unterricht zu integrieren.

Theorie ohne Praxis

Woher kommt diese Tendenz zur einseitigen Ausrichtung des Unterrichts am Instrument? Noch Johann Sebastian Bach hat seine Inventionen als Improvisationsbeispiele aufgefasst. Im Lauf des 19.Jahrhunderts aber bildete sich das Virtuosentum im Konzertbetrieb heraus, und der Musikunterricht folgte diesem Trend: Technische Beherrschung des Instruments und Geläufigkeit rückten in den Vordergrund. Improvisation wurde außen vor gestellt, die Musiktheorie wurde von der Praxis getrennt und wurde zum ungeliebten Begleitprogramm; zur Bildung des Gehörs (wenn sie denn überhaupt betrieben wurde) isolierte man die Intervalle säuberlich und etikettierte sie wissenschaftlich: „Große Septime aufwärts“, „verminderte Quinte abwärts“. So wurde „Gehörbildung“ – statt tägliches Brot für die Spieler•innen zu sein – zum gefürchteten Stoff für die Aufnahmeprüfung an den
Musikschulen.

Aufgespießt, isoliert und wissenschaftlich sortiert wie Schmetterlinge in der Sammlung – so zeigt man die Intervalle im Schulunterricht. Ist es nicht viel musikalischer, wenn wir sie frei herumflattern lassen?

Wer hört, hat es besser

Aber Musiker hören ja gar nicht so. Sie hören ihre Töne im Zusammenhang, im Kontext der jeweils geltenden Tonalität. Wenn ich das Lied „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“ beginne, denke ich nicht „Jetzt soll meine Melodie eine Terz aufwärts springen, und zwar soll es eine kleine Terz sein“ – sondern ich gehe einfach vom dritten zum fünften Ton meiner Tonleiter, in C-Dur also von e bis g. Viele Lehrer empfehlen den Lernenden: Singe erst einmal, was du spielen willst! Tatsächlich können beim Spielen die Finger (die ja selbst nicht einen Funken Musikalität haben) durch das innere Singen geleitet und bestärkt werden. Je besser ich meine Tonleitern vom Gehör her kenne, desto sicherer kann mich von meinem inneren Gesang leiten lassen: Wenn ich die Melodie “im Ohr” habe, weiß ich ja, wo ich jeden der Töne auf den Tasten finden kann, und muss mich nicht auf Notenbild und Tonnamen verlassen.

Wie die Übungen entstanden

Als ich begann, selbst zu unterrichten, baute ich von Anfang an für etwa 5-10 Minuten kleine Gehörbildungseinheiten ein: Beim Unterricht am Klavier diente mir eine Melodica dazu, die Aufgaben vorzuspielen. Das Vorgehen wurde schnell zum gewohnten Konzept: Anfangs Beschränkung auf den Fünftonraum c-d-e-f-g (oder in Moll: d-e-f-g-a), und zu Beginn nur Intervallsprünge – vom Grundton zu Sekunde, Terz, Quarte und Quinte. Wie es weitergeht, hängt davon ab, wie gut die Intervalle erkannt und nachgespielt werden können. Wenn es gut läuft, kommen Motive aus 3,4 oder 5 Tönen dran. Mit Schüler•innen, die fit im Hören sind, entspannt sich möglicherweise dann eine richtige kleine „Jam-Session“ im rhythmischen Hin und Her von Frage- und Antwortmotiven. Faszinierend ist, wie schnell sich Fortschritte zeigen: Wer bei den ersten Versuchen noch kaum einen Ton auf Anhieb trifft, hat oft schon in der zweiten und dritten Woche deutlich an Sicherheit gewonnen.

Amadeus – die erste Generation

Ein nachempfundenes Vintage-Keyboard … so zeigte sich der erste „Amadeus“ 2009

2009 beauftragte ich einen Programmierer, ein Computerspiel zu entwickeln, das den Regeln meines Hörtrainings folgen sollte. Das Ergebnis war der Melodietrainer Amadeus – anfangs wurde er als CD verkauft, um auf dem PC gespielt zu werden. 2021 wurde der Programmiercode “flash” außer Verkehr gezogen. Das bedeutete das Aus für den alten AMADEUS und damit die Chance, Amadeus neu zu entwickeln.

Amadeus 2021

Der neue Amadeus imitiert nicht mehr ein altes Keyboard, sondern zeigt ein großes Farbdisplay, wie das Abbild eines iPads. Alle Abläufe konnten wir jetzt klarer und geschmeidiger gestalten und dank der neuen Programmierung kann AMADEUS jetzt auf jedem Gerät abgerufen werden: Bequem am Laptop, komfortabel mit dem Tablet und auch jederzeit und unterwegs mit dem Smartphone. Zahlreiche begeisterte Freizeitmusiker•innen haben als Testpersonen mit ihren Vorschlägen und Wünschen geholfen, das Training und den Spielspaß zu optimieren.
Probiert es aus – Viel Spaß!

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